Manuskriptseiten in die Luft zu werfen
Eine tolle Aktion in meiner Heimatstadt Landshut: Um auf die Künstler aufmerksam zu machen, die nicht mehr auftreten können, wurden elf Porträts von Künstlern aus Landshut in einer Größe von 1,30 x 2,30 Metern am Ländtor aufgehängt, dem zentralen Tor, durch das man in die Altstadt läuft.
Alle Fotos stammen von Fotografin Silvia Johanus. Meines wurde in der Zentrale zum Rieblwirt aufgenommen. Ich hatte die Idee, Manuskriptseiten in die Luft zu werfen, und Silvia dann den genialen Einfall, ich solle nach dem Hochwerfen wieder still dasitzen und ein ernstes Gesicht machen, während sie runterfallen. Das haben wir mehrmals wiederholt. Oft hieß es: »Das Foto ist super, aber du hast ein Blatt vor dem Gesicht.« Bis es einmal klappte. Ein Riesendank an Uta Spies, die Kulturbeauftragte der Stadt, die auch das Landshuter Kulturfestival im Sommer mit 60 Freiluft-Veranstaltungen auf verschiedenen Bühnen in der Stadt organisiert hat. Und jetzt eben diese Fotoaktion, um, mit ihren Worten, »Kulturschaffende sichtbar zu machen« und ihnen Raum zu geben, »der ihnen für Live-Konzerte, Tanz und Ausstellungen zurzeit so oft fehlt.«
12. Dezember 2021
In der FUNK UHR
Vor 22 Jahren schickte ich einen Kurzkrimi an die Programmzeitschrift FUNK UHR. Er wurde abgedruckt und ich bekam 200 Mark. Das war damals für mich viel Geld. Ich hatte mich gerade an der Uni für Literatur und Geschichte eingeschrieben, wohnte in einer Sozialbauwohnung an einer lauten Straße in Berlin, und mal ins Kino zu gehen, war schon Luxus. Verblüfft nahm ich das Geld in Empfang. Ich hatte etwas geschrieben und wurde dafür bezahlt. War aus dem Schreiben vielleicht ein Beruf zu machen? Ich freue mich, dass die FUNK UHR vor ein paar Wochen das alte Heft nochmal gezeigt hat und sogar einen Romanauszug aus »Das zweite Geheimnis« druckte. Diese Woche zog ihre Schwesterzeitschrift SuperTV nach. Wenn ihr also schon mal reinlesen wollt ...
26. November 2021
Der Chefhistoriker des BND
Ein Hauptamtlicher des BND hat meinen Spionageroman gelesen ... und findet ihn gut! Er hat ihn sogar für das Crimemag rezensiert. Ihr könnt euch vorstellen, wie sehr mich diese Rezension freut. Bodo Hechelhammer ist seit 2002 Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und arbeitete in verschiedenen nachrichtendienstlichen Verwendungen. Seit 2016 leitet er nun das Historische Büro der Behörde, er ist von der Praxis sozusagen in die Theorie gewechselt und ist jetzt der Chefhistoriker des BND. Seit Jahren veröffentlicht er starke Sachbücher über Nachrichtendienste, z.B. zum Doppelagenten Heinz Felfe oder über die BND-Zentrale in Pullach – eine gute Hilfe für meine Romane. Auch sonst gab es großartige Rezensionen zur »Fremden Spionin«, zum Beispiel diese in der Berliner Morgenpost (siehe Foto).
Die schönsten Zitate zum Mitfreuen: »Titus Müller [lässt] einen Teil deutsch-deutscher Geschichte greifbar werden, der bis heute schmerzt. Er erzählt ihn dennoch mit frischem, lebendigem und auch einfühlsamem Blick. Allein das macht das Buch zu einem besonderen Leseerlebnis. Vor allem aber ist es unglaublich spannend.« – Kerstin Burlage, Bremen2 »Wie immer bei Müller genauestens recherchiert [..]. Jüngste Zeitgeschichte wird so spannend [..] und hautnah erlebbar.« – Peter Zander, Berliner Morgenpost »Ein lesenswerter, lehrreicher Roman ohne Schwarz-Weiß-Zeichnungen.« – Meike Dannenberg, BÜCHER »Ein spannendes Stück Nachkriegsgeschichte, brilliant aufgeschrieben von einem der großen zeitgenössischen Erzähler.« – Beate Rottgardt, Ruhr Nachrichten »Ria ist eine Romanheldin, die man sofort ins Herz schließen muss. Schön, clever, und vor allem mutig. Das Mädchen traut sich was.« – Lutz Langer, HAUPTSTADT TV
20. Oktober 2021
Heute vor 60 Jahren
Heute vor 60 Jahren erwachten die Berliner zum Geräusch der Presslufthammer. Straßen wurden aufgerissen, Betonpflöcke darin versenkt. Ihre Stadt war über Nacht mit Stacheldraht in zwei Hälften geteilt worden. Menschen, die sich eben noch besucht hatten, Familie, Freunde, Arbeitskollegen waren plötzlich weiter voneinander entfernt, als würden sie auf verschiedenen Planeten leben. Davon erzähle ich in meinem Roman »Die fremde Spionin«. Und in diesem Video nehme ich euch mit zu den Schauplätzen.
13. August 2021
Auf der Bestsellerliste
»Die fremde Spionin« ist auf Platz 18 in die SPIEGEL-Bestsellerliste eingestiegen. Jetzt bekommt sie doch tatsächlich den roten Aufkleber. Danke für eure Unterstützung und Leseneugier! Mich freut es enorm, dass so viele den Roman für sich entdecken. Eigentlich habe ich beim Schreiben nichts anders gemacht als sonst, also passt das Thema wohl gut in die Zeit. Und das Vertriebsteam des Heyne Verlags hat ganze Arbeit geleistet, und dann die Buchhändlerinnen, und am Ende natürlich ihr.
2. August 2021
Von 3.000 Briefen die schönsten
Ich bin seit Jahren ein Bewunderer von C.S. Lewis, und es macht mich stolz und glücklich, dass ich unter seinen 3.000 Briefen die schönsten aussuchen durfte für diese erste deutsche Ausgabe seiner Briefe. Hier lernt ihr den privaten C.S. Lewis kennen mit seiner leidenschaftlichen Liebe zu Büchern, dem Ringen um einen Arbeitsplatz an der Uni, Beziehungsproblemen, Humor, tiefen Freundschaften und klugen Gedanken über den christlichen Glauben (den er übrigens über Jahre hinweg verlor und dann allmählich wiederentdeckte).
Manchmal erscheinen zwei Bücher gleichzeitig, auch wenn ich nicht gleichzeitig an ihnen gearbeitet habe. Ich weiß, ich bin schlecht für euren Geldbeutel und euer Bücherbudget. Aber ich kann nicht anders. Beide Bücher, »Die fremde Spionin« und die Briefe von C.S. Lewis, sind Herzensprojekte, die ich schon seit Jahren verfolge. Ich bin überglücklich, dass beide jetzt endlich in Buchform vor mir liegen und ich sie mit euch teilen darf. (Die Briefe im Hintergrund des Buchs auf diesem Bild sind nicht von C.S. Lewis.)
25. Juni 2021
Zu Besuch im Hörbuchstudio
Warum braucht man bei Hörbuchaufnahmen drei Leute und was tun die? Werft mit mir einen Blick hinter die Kulissen und besucht Oliver Brod, Matthias Steiert und Regisseur Joachim Hoell bei den Aufnahmen von »Die fremde Spionin«. (Ich habe ja »Tanz mit mir, Aurelia« selbst aufgenommen und schon damals großen Respekt vor der Leistung eines Hörbuchstudios bekommen. Jetzt ist er noch weiter gewachsen.)
15. Juni 2021
Ich erinnere mich gut
In der Post war eine frisch gedruckte Nachauflage des »Kalligraphen« – die 2. Auflage bei Heyne, aber eigentlich die 8. Auflage dieses Romans, wenn man alle Verlage zusammennimmt (Aufbau, Weltbild, Brunnen, Heyne). Im Oktober 2002 war die Erstveröffentlichung. Ich war 24 Jahre alt.
Ich erinnere mich gut, wie ich bei Hugendubel in der Berliner Schlossstraße vor dem Regal mit den Neuerscheinungen stand und nicht fassen konnte, das da mein Roman lag, Buchstaben und Wörter, die ich bei mir Zuhause in der Sozialbauwohnung in der Albrechtstraße 107 geschrieben hatte, auf dem alten, vom Vater übernommenen Schreibtisch, zwischen Semesterarbeiten für die Uni und Staubsaugen und Abwasch und Computerspielen. Das Staunen ist nie verfolgen. Auch wenn im Juni mein vierzehnter Roman erscheint, werde ich ihn wieder ungläubig in den Händen halten. Danke, dass ihr mir durch eure Leseneugier diesen Traumberuf ermöglicht! Es ist eine wunderbare Reise mit euch.
3. Mai 2021
Alltag bei Thomas Mann
Wie kam eigentlich Thomas Mann mit dem »Homeoffice« klar? Er gilt als höchst diszipliniert ... war es aber gar nicht. Gerade ist ein herrlicher Artikel darüber in der ZEIT erschienen.
Ich habe über Thomas Mann in meinem »Franz Tausend«-Roman hübsche (wahre) Details ausgegraben, die ihn menschlich zeigen. Wie er als Jurymitglied bei einem großen Romanwettbewerb kein einziges der Manuskripte gelesen hat, und dann kam der Mann der Kölner Zeitung, die den Wettbewerb veranstaltete, unangemeldet zu ihm nach Hause und er musste bei Kaffee und Kuchen über Bücher reden, die er nicht kannte ... Wie ihn ein Personal Trainer, so würden wir es heute nennen, alle zwei Tage zu Hause besuchte und ihn Seilhüpfen ließ ... Wie er es hasste, fotografiert zu werden ...
Und all das schreibe ich und freue mich auch am entzaubernden Artikel in der ZEIT, und liebe doch Thomas Manns Geschichten, allen voran den »Zauberberg«.
27. März 2021
Können Sie mir das vorlesen?
Heute: WDR-Dreh in Gaby Trombello-Wirkus’ »Schriftschatz«-Werkstatt zu unserem Buch »Die fast vergessene Kunst des Briefeschreibens«. Ich mit meiner winzigen Handschrift, gefilmt beim Schreiben! Aber Gaby hatte gute Tipps für mich. Bald sagen die Leute nicht mehr, wenn ich ein Buch signiere: »Danke für die Widmung, können Sie mir das vorlesen?«, oder erzählen von ihrem Arzt, der genauso klein schreibt.
Ich freue mich, dass wir vom schönen Briefe-Buch erzählen konnten. Und ich habe Lust darauf bekommen, wieder mit einem Füller und »schön« zu schreiben.
3. Dezember 2020
Zu Besuch im Verlag
Heute im Verlag: Treffen mit meinen beiden Lektoren Edgar Bracht (Blessing) und Oskar Rauch (Heyne, im Bild). Wir haben über zukünftige Projekte gesprochen, und ich habe zum ersten Mal die Cover meiner neuen Roman-Trilogie gesehen. Der erste Band erscheint im Juni 2021 bei Heyne. Ein aufregender Moment. Ich bin begeistert von den Entwürfen! Sie sehen nach »Kino« aus. Außerdem haben wir einen Film gedreht mit zwei sympathischen Social-Media-Redakteurinnen, der Oskar und mich im Gespräch zeigt (und wie wir durch das Verlagsgebäude gehen, damit ihr die Büros auch mal seht). Den postet Heyne zur »virtuellen« Frankfurter Buchmesse. Nachtrag: Hier ist der Film, willkommen beim Heyne Verlag!
5. Oktober 2020
Was mich an Wespen fasziniert
Heute erscheint mein neues Buch »Staunen über das Glück im Unscheinbaren«. Im 2-Minuten-Video zum Buch erzähle ich davon, was mich an Wespen und Fruchtfliegen fasziniert.
1. September 2020
Glückwunsch an Helga Schubert
Glückwunsch an Helga Schubert zum Bachmannpreis! Völlig unqualifizierter Beitrag, aber ihre kleinen Kinderbücher »Bimmi und der schwarze Tag« und »Bimmi und das Hochhausgespenst« habe ich in der Kindheit hunderte Male gelesen. Wenn ich allein deren Cover ansehe, kommen eine Menge Erinnerungen hoch. Insofern, schon aus Dank für diese Bücher, gönne ich ihr den Preis.
Nachtrag ein Jahr später: Ihr Buch »Vom Aufstehen« ist wunderbar!
21. Juni 2020
Im Wald
Wollt ihr mal meine Kinder rennen sehen? Hier sind wir als Familie im Wald, und ich sage was zu Bäumen, Moos und dem Spazierengehen.
23. April 2020
Von der Liebe
Willkommen bei mir im Wohnzimmer! Ich erzähle in diesem 7-Minuten-Video von der Liebe ... allerdings nicht von meiner, sondern von Carl von Ossietzky, seiner Frau Maud und Gusti Hecht.
13. April 2020
Trailer mit historischen Zeitungsartikeln
Die Zeitungsartikel in diesem wundervollen Trailer zu »Franz Tausend« sind alle echt. Damals stand beinahe jeden Tag etwas über ihn in großen Artikeln in den Münchner Zeitungen.
Wirklich toll gemacht, lieber Blessing Verlag, vielen Dank!
12. März 2020
Das 14. Jahrhundert zu besuchen
Von Thomas Latimers Burg steht nichts mehr. Nur noch die Karpfenbecken sind zu sehen, die ich im ersten Kapitel der »Brillenmacherin« beschreibe. (Heute sind sie Krater in der Wiese.) Dafür gibt es die Brücke über den Fluß noch, die Sir Thomas Latimers Großvater gebaut hat, und in der Kirche, die ebenfalls im Roman vorkommt und noch steht, befindet sich der hölzerne Sarg des Großvaters.
Ich erinnere mich gern an die Reise nach Braybrooke zurück. Das Wetter der Midlands am eigenen Leib zu spüren, bei Sonnenaufgang den Schafen zuzuhören, die das Gras abrupfen und kauen, und den gelben Mohn am Wegrand zu entdecken – viele schöne Szenen des Romans basieren auf den Notizen meiner Englandreise. Natürlich hat es mir auch geholfen, dass mir die Einheimischen Kontakt zu den Nachfahren von Sir Thomas Latimer vermittelt haben, und ich so an nützliche Informationen über den Ritter aus dem Familienarchiv kam.
Wir denken meist in Zeiträumen von einigen Wochen. Jahrhunderte sind uns eine fremde Zeitrechnung. Umso aufregender war es für mich, das 14. Jahrhundert zu besuchen und vor Ort in den Midlands seine Spuren zu sehen. Man kommt sich klein vor. Und man staunt, wie viel sich in der Welt verändert hat seit damals, inzwischen gibt es Computer, Autos, Drohnen mit Raketen. Der Ritter Thomas Latimer hätte es kaum fassen können. Anderes ist kaum verändert: die Brille, zum Beispiel.
13. Januar 2020
Romane überarbeiten
Am liebsten würde ich alle meine Romane nach zehn Jahren überarbeiten. Ich habe dann die Geschichte nicht mehr im Kopf und gehe unbedarft an sie heran, ich lebe mit ihr mit und spüre ihre scharfen Kanten. Hier und da sprachlich nachzubessern oder logische Fehler zu beseitigen, das ist wie Briefmarkensortieren, wie Puzzeln oder Aufräumen. Zutiefst befriedigend.
Bei fünf Büchern durfte ich das jetzt machen, nächste Woche erscheint die überarbeitete Version der »Brillenmacherin« und ich freue mich darüber wie über einen völlig neuen Roman.
Das Lesen mit zeitlichem Abstand ist aufregend für mich. Den Papierstapel vor mir zu haben und zu wissen, dass ich das Buch gleich zum ersten Mal wirklich lesen werden, weckt die bange innere Frage: Taugt es was? Ein angenehmer Bauchkitzel. Mein Fazit nach fünf überarbeiteten Romanen: »Die Todgeweihte«, »Die Jesuitin« und »Der Kuss des Feindes« sind okay. »Der Kalligraph des Bischofs« und »Die Brillenmacherin« aber haben Tiefe. Diese zwei geben mir etwas Besonderes beim Lesen (als hätte ich vor Jahren etwas in sie eingeschlossen wie eine Kapsel mit Medizin).
Jetzt würde ich gern mit dem »Mysterium« weitermachen. Was sagt ihr, lieber Heyne-Verlag?
6. Januar 2020
Vom Versuch, ein Hörbuch aufzunehmen
Zuerst war ich verblüfft, wie sehr mein Arbeitszimmer hallt, wenn ich mit dem Mikro Aufnahmen mache. Erst mit einer Decke über dem Kopf und halb in den geöffneten Kleiderschrank hineingekrochen, klang es gut. Allerdings wurde mir schon nach zwei Minuten sehr warm unter der Decke. Undenkbar, ein ganzes Hörbuch so einzulesen.
Also musste Dämmmaterial her. Dort, wo ich das gute, teure Mikro gekauft hatte, gab es auch die Dämmung. Es konnte losgehen!
Wir wohnen in einer ruhigen Seitenstraße, man hört fast nie etwas. Aber als ich nachmittags mit den Aufnahmen loslegte, war alle paar Minuten ein Hundebellen zu hören, in der Ferne fuhr eine Feuerwehr, eine Autotür schlug zu. All diese Geräusche blende ich im Alltag aus. Für ein Hörbuch sind sie undenkbar, und dieses verflixt empfindliche Mikrofon nahm alles auf. Ich musste warten, bis es Nacht war.
Am Ende wurden es mehrere Nächte. Wünscht ihr euch jemanden, der euch eine Weihnachtsgeschichte vorliest? Ich komme gern zu euch, oder sagen wir: eine Aufnahme von mir. Gerade ist bei Audible »Tanz mit mir, Aurelia« als Hörbuch erschienen.
23. Dezember 2019
Apartheid
Letzte Woche haben Lena und ich über die Apartheid in Südafrika gesprochen. Mir war nicht bewusst, dass Jona (5) zuhörte. Heute sagt er plötzlich, er wolle mit mir nach Südafrika fahren, wegen der Schwarzen und Weißen und was ich da mit Mama geredet hätte. Ich versuche, es ihm zu erklären. Da meldet sich Felix (4) zu Wort: »Wir sind die Schwarzen, ge?« Er strahlt mich an. »Nein, Felix. Wir sind die Weißen.« Er verstummt. Es arbeitet in ihm. Dann fragt er leise, mit Entsetzen: »Also sind wir die Bösen?« Ich glaube, ich muss in Zukunft besser aufpassen, was ich mit Lena in Hörweite der Kinder so rede. Heute habe ich noch mühsam die Kurve gekriegt und Felix weisgemacht, dass das vorbei und länger her ist ... Andererseits, es sind Realitäten auf unserem Planeten, und selbst wo sie »überwunden« sind, haben sie noch Folgen bis heute. Ich will die Jungs nicht überfordern, aber ihnen auch keine Welt vorgaukeln, die nicht existiert. Eine Gratwanderung. Immerhin sind es dieselben Kinder, die heute früh auf dem Weg zum Kindergarten darüber diskutiert haben, ob es den Nikolaus gibt oder nicht. Felix: »Ist der unsichtbar oder was?« Jona: »Doch, den gibt es, den haben wir doch einmal im Kindergarten gesehen, weißt du nicht mehr?« Wie können Kinder im einen Moment schon so groß sein und im anderen noch so klein? Na, ich gönne es ihnen.
26. Juni 2019
Dramatische Filmaufnahmen
Starke Filmaufnahmen vom 17. Juni 1953. (Heute vor 66 Jahren fand der Aufstand statt.) Der Tagesschau-Sprecher spricht allerdings etwas zu dramatisch – da wird mir bewusst, wie sehr ich mich daran gewöhnt habe, dass selbst die aufwühlendsten Nachrichten in der Tagesschau mit unbewegter Haltung aufgesagt werden.
Ich lese heute aus meinem Roman zum Aufstand in der Stadtbibliothek in Meiningen/Thüringen. Aber da ich kein Tagesschau-Sprecher bin, darf ich dramatisch klingen.
17. Juni 2019
Spazieren. Nur spazieren. Spazieren?
Wir Menschen des des 21. Jahrhunderts mögen keine Wege. Wir eliminieren sie, wo wir können. Wege erscheinen uns wie Wartezeiten, verschwendete Zeit, Stagnation. Wir jubeln, wenn der ICE von München nach Berlin nur noch vier Stunden braucht. Wir stöhnen über den Fußweg zum Briefkasten. Statt Briefen schreiben wir Mails und die Postunternehmen überleben das Sterben der Briefpost nur, weil wir so viel online einkaufen.
Zur Videothek gehen wir nicht mehr. Um Geld zu sparen, brachte ich früher die entliehene DVD noch am selben Abend zurück, auch wenn es bereits nach Mitternacht war, ich genoss die erfrischende Nachtluft. Der Weg zur Videothek half mir, den Film zu verarbeiten. Heute streamen wir und bezahlen lieber das Dreifache, um den Fußweg einzusparen. Den Weg zum Restaurant scheuen wir und bestellen lieber den Lieferservice zu uns nach Hause – was im Grunde bloß heißt, dass jemand anderes den Weg macht.
Statt in eine Buchhandlung zu gehen, bekommen wir unsere Bücher in anonymen Päckchen. Auch hier macht jemand anderes den Weg, und obwohl der Onlinehändler das Porto übernimmt, bezahlen wir für den Komfort mit toten, leeren Innenstädten, weil die Buchhandlungen und viele andere Läden schließen. Wir bezahlen damit, dass wir nicht mehr stöbern gehen können. Stöbern, sagt man das überhaupt noch?
Bei Büchern bin ich konsequent, die kaufe ich nur in der Buchhandlung. Ich mag es, ein Buch von einem Menschen zu kaufen. Aber ich falle dafür bei anderen Themen um. Gerade wollte ich in München Schuhe kaufen, die das Kaufhaus jedoch in meiner Größe nicht vorrätig hatte. Ein weiteres Geschäft hatte meine gewohnte Marke nicht, und noch länger zu suchen erschien mir zu aufwendig und zeitraubend. Ich weiß genau, wo es den Schuh online gibt ...
Nicht mal den Weg vom Sofa zum Fernseher wollen wir machen. Ich kann mich gut erinnern, wie wir den ersten Fernseher mit Fernbedienung bekamen. Ich war Teenager. Fasziniert hielt ich das kleine Funkkästchen in der Hand. Es erschien mir dekadent, damit die zwei Schritte zum Fernseher zu sparen.
Heute wäre es mir unvorstellbar, zum Umschalten einen Knopf am Fernseher drücken zu müssen. Ich sitze auf dem Sofa und fluche, wenn die Fernbedienung wieder mal spinnt. Würde ich einen Fernseher überhaupt ertragen, der nach dem Anschalten eine Weile zum Aufwärmen braucht und dann zuerst nur den Ton wiedergibt, bis allmählich auch das Bild erscheint? Den leuchtenden Punkt auf der Mattscheibe, wenn man den Apparat ausschaltete, werde ich nie vergessen.
Immer sind wir in Eile und zu spät dran. Verwirrte kleine Kreaturen, die versuchen, durch Hast auszugleichen, was ihnen an Zielgerichtetheit und Ruhe fehlt.
Da scheint das Spazierengehen anachronistisch zu sein. Es bringt uns nicht weiter. Es erwirtschaftet kein Geld, steigert nicht unseren Marktwert, es passt nicht in unsere Ranking-Sucht. Wir veranstalten einen Modelwettbewerb, um zu wissen, wer die beste Brust hat, die besten Augen, das beste Haar, Fernsehsendungen drehen sich darum: Wer kann besser kochen? Besser singen? Besser einkaufen? Wir sind Spezialisten darin, uns zu vergleichen.
Aber man kann nicht besser spazieren gehen. Darin kann man niemanden schlagen, weil es keine Leistung gibt beim Spazierengehen. Nur Freiheit. Das ist genau das, was wir heute brauchen. Das Spazierengehen fällt aus der Zeit: Hier machen wir freiwillig einen Weg.
Ray Bradbury, der berühmte Science-Fiction-Autor, ging von einer Zukunft aus, in der niemand mehr spazieren geht. In seiner Geschichte »Der Fußgänger« wird ein einsamer Spaziergänger im Jahr 2052 von einer Polizeistreife angehalten, einem leeren, automatischen Polizeiwagen, und eine blecherne Stimme fragt ihn: »Was tun Sie hier draußen?« Als er erklärt, er gehe spazieren, fragt die Roboter-Streife verwirrt nach: »Spazieren. Nur spazieren. Spazieren?« »Ja, Sir.« »Wohin gehen Sie? Wozu?« »Ich gehe nur an die Luft. Ich gehe, um etwas zu sehen.« »Sie haben mir noch nicht erklärt, warum.« »Doch. Wegen der Luft und einfach, um spazieren zu gehen.« Das leuchtet der Polizei nicht ein, und der Spaziergänger wird abtransportiert zum »Psychiatric Center for Research on Regressive Tendencies«. Auszug aus: Titus Müller: »Einfach mal spazieren gehen«, (c) Arche Literatur Verlag 2019. Das Bild stammt von Radosław Cieśla, gefunden auf Pixabay.
4. April 2019
Ein Hoch auf die Lektoren
Ich war 23, als mein erster Roman lektoriert wurde. Die Genauigkeit und Leidenschaft, mit der mein damaliger Lektor Gunnar Cynybulk sich der Geschichte widmete, hat mich umgehauen. Ich habe von seinem Können enorm profitiert und seine Hilfestellungen aufgesogen wie ein Schwamm. Zwei Beispielseiten von damals zeige ich hier, ihr versteht sicher sofort, was das für mich bedeutet hat. Es sind Anfängerfehler, die ich damals gemacht habe – und er war sich nicht zu fein, mir das Handwerk beizubringen.
Heute heißen meine Lektoren Dr. Edgar Bracht (Blessing), Nicole Schol (Adeo) und Dr. Angelika Künne (Arche), und ich lerne von ihnen bei jedem Buch weitere sprachliche Kniffe, feine Geschichtenerzählertricks und einen liebevollen neuen Blick auf die Figuren und die Hintergründe des jeweiligen Buchs. Zeit, es mal laut zu sagen: ein Hoch auf alle Lektorinnen und Lektoren! Ihr arbeitet im Verborgenen, aber ihr seid die eigentlichen Zauberkünstler, ohne die es niemals gute Bücher geben würde. Edgar Bracht könnt ihr übrigens kennenlernen. Falls ihr selbst auch schreibt und seinen klugen Blick auf euer Romanprojekt wünscht, vom 4.-5. Mai gibt es in München eine Romanwerkstatt von ihm und mir gemeinsam, veranstaltet von der Text-Manufaktur. Ihr seid herzlich willkommen!
12. Februar 2019
Weitere Blogbeiträge
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